Rein in die schwule "Unterwelt" - Ulrich Baer und Baer-und-Baer-Verlag

Direkt zum Seiteninhalt
Die frühere Homepage (2002) des Kleist-Casinos "KC" in Berlin
2002 endete die lange Geschichte der schwulen Bar "KC" und in den Räumlichkeiten befindet sich heute die Gay-Bar "Bulls", ein Cruisingort für Fetish-Liebhaber.
Wie konnte man als schwuler junger Mann Mitte der 1960er Jahre in Berlin (West) andere Homosexuelle kennenlernen?
Das war mein Weg:
Unter Oberschülern und Studenten war das Kleist-Casino ("KC") als "Bar" bekannt, in der sich Homos treffen. Die Kleiststraße liegt in Berlin-Schöneberg, zwischen Wittembergplatz und Nollendorfplatz. Man kann sich diese breite, vierspurige Straße als eine Art östliche Verlängerung von Kudamm und Tauentzienstraße vorstellen. Vom berühmten KaDeWe rund ein halber Kilometer weiter östlich.
Bars waren - das wusste ich von meiner Mutter - ein dunkler Ort, an dem sich vornehm tuende Reiche und Kriminelle begegnen. Man muss halbseidenen Bardamen teuren Champagner spedieren, sonst wird man von bulligen Kerlen vor die Tür gesetzt, Unterwelt eben.
Entsprechend aufgeregt und verschüchtert stand ich an einem viel zu frühen Abend auf der dem KC gegenüber liegenden Seite der Kleiststraße und beobachtete das Geschehen drüben. Es geschah allerdings nichts.
Getrieben von meiner inneren Sehnsucht, endlich mal einen richtigen Homosexuellen zu treffen, habe ich nach einer Weile allen Mut zusammen genommen und bin rüber.
Früher musste man an allen schwulen Kneipen klingeln. Das sollte unliebsame Besucher verhindern, aber auch bei Razzien warnen. 1958 gab es im KC eine Razzia. Jemand hat auf mein Klingeln geöffnet, mich schüchternen jungen Mann für harmlos befunden und eingelassen.
Links voraus war die Theke, rechts an der Wand Ledersofabänke. Die Bar"dame" hat Gläser geputzt, ich erklimme einen Barhocker und bestelle als Nicht-Bier-Fan ein Bier, in der Hoffnung, dafür nicht übermäßig in dieser Unterwelt abgezockt zu werden. Ich schaue mich um nach attraktiven Männern. Alles leer. Ich bin entschieden zu früh. Erst drei Stunden später beginnt in Berlin so allmählich sowas wie das Nachtleben. Ich werde in einigen Tagen nochmal herkommen, aber zu späterer Stunde.
Und das mache ich. Und lerne dort meinen ersten richtigen Freund kennen, in den ich mich verliebt habe.
Aber das ist eine andere Story.

Irgendwann einmal habe ich in mein Tagebuch einige Gedanken über solche schwulen Bars, wie es das KC war und wie es sie bis heute in vielen deutschen Großstädten und auch in anderen Ländern gibt, aufgeschrieben. Lies meine kleine Charakteristik vom 14.8.1967:
"Die Playboys und der Opa - ein Kurzportrait des KC
Degeneriert, rot-dunkel, verschnörkelt- der angestaubte Scheinluxus im KC in der Nähe vom Wittembergplatz in Berlin. Dort sitzt man an zwei Bars oder an kleinen Tischen um die Tanzfläche herum, auf der Jungs und junge Männer sich gegenseitig im Slow-beat die Hüften streicheln.
Die Bar-"dame" ist dunkelhäutig, spricht französisch, trägt Mini-Pullover, gibt Küsschen für eingetroffene Freunde, sagt "Schätzchen" zu den Gästen, aber auch mal "junger Mann" - und ist ein Junge.
Die Ober - das ist ein viel zu feines Wort und "Kellner" wäre wieder viel zu schnöde... die, die im KC bedienen, sind Jungs mit hübschem Gesicht und schlankem Körper und haben einen gewinnenden Charme.
Unter den Gästen gibt es eine Reihe älterer - ach, das ist geschmeichelt, das sagen vielleicht nur diese Jungs - also, es gibt eine Reihe alter, meist dicklicher, glatziger Opas, die von einem oder zwei hübschen - oft blonden, stupsnasigen - sehr jungen Jungs umlagert sind, sich mit ihnen unterhalten. Mal wird einer der Playboys auch zärtlich, legt den Arm um den Opa, streichelt die Haarreste, geht dann gegen 1 Uhr mit ihm weg.
Schließlich gibt es die - in der Mehrzahl vorhandenen - unauffälligen, selbstverständlichen und sicher auftretenden homosexuellen Freunde oder Gruppen von Bekannten. Pro Abend sieht man am Wochenende vielleicht auch fünf Mädchen. Das ist das KC." 14.8.1967.
Zurück zum Seiteninhalt